Unter den Bäumen...
Zu den neuesten Arbeiten von Serge Hasenböhler

„Unter den Bäumen“ nennt Hasenböhler seine neuesten, seit Anfang 2005 entstehenden Arbeiten. Am Anfang der Serie standen Fotografien, die der Künstler auf ausgedehnten Spaziergängen im Wald aufgenommen hat. Trotz aller Verschränkung mit der menschlichen Zivilisation verfügt diese Vegetationsform bis heute über eine besondere Anziehung. Die rücksichtslose Inanspruchnahme durch den Menschen, Holzschlag, Feuerstellen, Routen und Pisten für Langläufer, Mountainbiker oder Jogger, sowie der Lärm, der mit ihnen verbunden ist, haben noch nicht alle Winkel erobert und selbst in seiner genutzten und bewirtschafteten Form übt der Wald einen Zauber auf die Menschen aus, der einzigartig bleibt. Nicht umsonst ist er bevorzugter Schauplatz von Märchen und Sagen, verklärten ihn die Dichter und Maler der Romantik.

Auch heute noch verwandelt sich die Welt, sobald wir einen Wald betreten. Die freie Natur wird zum Innenraum, wie Säulen streben die Baumstämme einer Decke zu, die das dichte Laubwerk bildet, und obwohl scheinbar unendlich sich ausdehnende Halle, schirmt uns der Wald von einer Aussenwelt ab, die übersäht ist mit den Zeichen unserer Zivilisation. Er blendet jedoch nicht nur sie aus, sondern dämpft auch ihre Geräusche und ersetzt sie durch seine eigenen Laute. Wenn wir seine Wege verlassen, sind wir plötzlich allein. Nicht ganz allerdings, denn überall um uns herum wuselt ein emsiges Leben, direkt vor unseren Augen, aber auch unsichtbar, verborgen in sicheren Höhlen oder hinter schützendem Gebüsch. So steht der Mensch im Wald inmitten eines Kreises, den Angst und Vorsicht um ihn herum ziehen. Wenn er sich bewegt, stiebt dieses Leben zeternd und schimpfend vor ihm her, bringt sich auf Flügeln, Pfoten und Hufen in Sicherheit oder duckt sich und verharrt unbeweglich, auf Tarnung und die Erfahrung bauend, dass das menschliche Auge hauptsächlich auf Bewegung reagiert. Steht der Mensch seinerseits still, zieht sich der Kreis der scheuen Waldbewohner wieder enger um ihn. Hier regt sich ein Nager, dort turnt ein Vogel wieder munter im Gezweig und auf schmalen Hufen trippelt ein äsendes Reh daher. Fuchs und Dachs jedoch warten in ihrem Bau auf die Dämmerung, zusammen mit Eule und Kauz, die sich zwar nicht verbergen, aber für den Menschen dennoch unsichtbar bleiben.

Kein Wunder, hat die Phantasie des Menschen die Zahl der heimlichen Waldkreaturen erhöht und ihre Gestalten ausgeschmückt, haben die Dichter ein leichtes Spiel, wenn sie zu den scheuen Bewohnern, die sich nur undeutlich zeigen, noch ein paar dazu erfinden. Grosse und kleine, hässliche und schöne, gute und böse. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie sich nur dem Einzelnen zeigen und dass sowohl ihr Auftreten als auch ihre Gaben mit Zauberei verbunden sind und von spukhaften Erscheinungen begleitet werden. Von einem Brausen des Windes, von seltsamen Lauten oder – wie in der Fotografie von Serge Hasenböhler – von Lichterscheinungen, die wie in den Märchen und Sagen dem Übersinnlichen vorausgehen. Ein fester Bestandteil dieser nicht nur für Kinder bestimmten Erzählungen ist auch die Erwähnung auffallender Exemplare an sich ganz gewöhnlicher Dinge, und seien es nur ein überraschend grosser Ameisenbau oder ein besonders prächtiger Pilz. Haben wir uns einmal über das Staunen der Welt gegenüber geöffnet, sind wir für Vieles empfänglich, und so wird auch die schöne Form der uns alltäglich umgebenden Natur zum Ausgangspunkt von Betrachtungen, die über sie hinausweisen.

Hans-Peter Wittwer
Basel, im August 2005